Und noch ein Neuer

    • Und noch ein Neuer

      Moin Forum,

      bevor mein Account wegen Inaktivität wieder gelöscht wird, hier mein erster Beitrag.

      Der W201, den es vorzustellen gilt, ist ein dunkelblauer 1,8 E.
      Die Erstzulassung erfolgte durch meinen Onkel in 12/92.
      Gefahren hat er den Wagen bis zu seinem Tod 2002, ausschließlich bei schönem Wetter.
      Darüber hinaus stand er in der Garage.
      Von 2002 bis zu ihrem Tod 2010 hat meine Tante ihn gepflegt. Da sie keinen Führerschein besaß, ist der Wagen in der Zeit nur gelegentlich bewegt worden.
      2010 hat mein Vater ihn mit ca. 37000 km übernommen.
      Durch dessen Tod 2020 ist er mit 155000 km zu mir gelangt.
      Ich fürchte, er wird auch mich überleben.

      Zum guten Stern meines Vaters , den ich zu seinen Lebzeiten nur gelegentlich fahren musste, hatte ich ein recht ambivalentes Verhältnis.
      Um ehrlich zu sein: ich konnte dem Baby-Benz absolut nichts abgewinnen.


      Ich erinnere mich an eine TÜV Abnahme, die vorzunehmen er mich gebeten hatte, weil er selbst sich außerstande dazu fühlte. Das Ganze war ein ziemlicher Reinfall. Statt vier Winterreifen trug der Benz nur deren drei, die darüber hinaus abgefahren waren, der vierte war ein ebenfalls abgefahrener Sommerreifen, und als wäre dies nicht schon Unheil genug, hatte er den Abgastest ebenfalls nicht bestanden.

      Ohne neue TÜV Plakette übergab ich den Benz einer Werkstatt, der mein Vater vertraut hatte. Dort wurden neue Winterreifen aufgezogen und meinem Hinweis nachgegangen, dass der Wagen gelegentlich seinen Dienst verweigere und einfach ausgehe, etwa vor einer Ampel, im Stau, aber dies auch nicht immer, sozusagen willkürlich und wenn, dann nur einmal am Tag.
      Ratlose Gesichter. Schließlich hat man mir den Rat mit auf den Weg gegeben, dass dies auf einen Defekt der Lambdasonde hinweise, aber nicht müsse, oder aber mit der nachgerüsteten Kaltstartautomatik zusammenhängen könne, aber nicht müsse, ich solle den Wagen einfach einmal „durchpusten“, auf dem Weg zum TÜV.
      Gesagt getan.
      Auf dem Weg zum TÜV habe ich den Wagen über die Autobahn gescheucht, den Abgastest hat er dennoch nicht bestanden.
      Einige Tage später ist mein Vater dann gestorben.

      So kam ich, ohne das ich mich darum bemüht hatte, zu einem W201, ohne gültige TÜV-Plakette.
      Behalten oder Verschrotten war die Frage.
      Meiner Mutter zuliebe habe ich ihn erst einmal behalten.
      In einer Werkstatt „meines Vertrauens“ wurden dann die Lambda-Sonde ersetzt, sowie die noch ausstehende Abgasuntersuchung erteilt – gerade noch eben so, teilte man mir unter großen Bedenken mit, sozusagen mit Ach und Krach. Des Weiteren gab man mir zu verstehen, dass ich in zwei Jahren erneut Probleme bekommen könnte, das Fahrzeug durch die AU zu bekommen.
      Bei meiner Fahrt nach Hause ging der Wagen prompt wieder an einer Ampel aus, was mich den Schluss ziehen ließ, dass ich zwar eine neue Lambdasonde erhalten und bezahlt hatte, der Fehler aber irgendwo anders liegen müsse.

      Wie auch immer, ich wollte nicht undankbar sein, hatte ich doch durch diese Aktion zwei Jahre gewonnen, der nächste TÜV wäre in 2022, bis dahin würde ich wissen, wie mit dem Wagen weiter zu verfahren sei.
      Vorerst aber galt es die dringendsten Mängel zu beseitigen.
      Nach erster Durchsicht waren mir folgende Unregelmäßigkeiten aufgefallen:
      Tür hinten ließ sich nur von innen öffnen, der Schliesszylinder der Fahrertür hakte (keine ZV), der Schließzylinder der Beifahrertür war komplett unwillig, Dichtung am Kofferraum defekt, Antenne hinten eingerostet und zum Kofferraum hin nicht mehr dicht, als direkte Folge davon waren sämtliche Gummidichtungen außen vermoost, weil das Fahrzeug nicht mehr in die Waschanlage gefahren worden war, das Gebläse der Heizung war defekt, das Radio - schon nicht mehr original - war im Eimer, dann deutliche Lackkratzer auf den Saccoblechen, entstanden beim unsachgemäßen Einfahren in die Garage, und last but not least Getriebeöl, das mit ziemlicher Sicherheit noch nie gewechselt worden war. (Automatik)

      Als bekennender Nichtschrauber war ich nicht sonderlich erpicht darauf, mir die Finger an einem 30 Jahre alten Auto schmutzig zu machen.
      Das Reparaturhandbuch von „Etzold“ besaß ich bereits, weil ich einige Jahre zuvor eine Dichtung an der Hydraulikpumpe der Lenkhilfe habe erneuern müssen.
      Ersetzt habe ich dann doch nur den abgebrochenen Antennenstummel durch eine Automatikantenne, damit es nicht in den Kofferraum hinein regnet. Angeschlossen habe ich die Antenne nicht.
      Die Kofferraumdichtung wurde erneuert, das Getriebeöl sowie Filter ersetzt, die Schließzylinder komplett zerlegt, gereinigt, sowie die Schliessblättchen passend zurechtgefeilt)
      Die Saccobleche habe ich nach einer Anleitung aus dem Forum (wie demontiere ich ein Saccoblech ohne einen Klipp zu zerstören) demontiert und neu gespritzt.
      Das Projekt "Gebläse Heizung" habe ich auf unbestimmte Zeit verschoben, das Türschloss hinten erfolgreich verdrängt und das nicht funktionierende Radio sich selbst überlassen. Wer hört schon Radio im Auto?

      Was mich allerdings weiterhin beschäftigt und nachhaltig genervt hat, waren die gelegentlichen Aussetzer des Motors, wenn er an einer Ampel wieder einmal ausging.
      Bei meinen Recherchen hier im Forum bin ich dann irgendwann auf den Begriff des „Überspannschutzrelais“ gestoßen.
      Der Beitrag wirkte fundiert, selbst für mich als Laien klang alles plausibel und nachdem ich ein neues Relais gegen das Alte getauscht hatte, war plötzlich alles in bester Ordnung, Lambdasonde und defekte Kaltstartautomatik waren vergessen, und 2022 ist er ohne Beanstandung durch den TÜV gekommen.

      Das Jahr 2022 war ebenfalls ein durchwachsenes Jahr für den W201. Er wurde noch immer nur geduldet. Mehr als den obligatorischen Ölwechsel habe ich ihm nicht gegönnt.
      Im Frühjahr 2023 dann kam seine große Stunde. Urlaub in Cornwall stand an und das Familienfahrzeug (Skoda Octavia Kombi RS Diesel) hatte sich wegen eines defekten Schließzylinders am Zündschloss drei Tage vor der geplanten Abreise krank gemeldet. Reparaturzeit 2 Wochen.
      Der Benz war bis auf ein defektes Wischerblatt, das ich bei der hiesigen Mercedesniederlassung besorgen konnte, soweit, mit ausdrücklicher Betonung auf "soweit" in Ordnung. Keilriemen hatte ich vorrätig, Ölfilter sowie Öl für einen Wechsel ebenfalls.
      Nach Umbuchung der Tunnelpassage auf ein anderes Fahrzeug konnte es losgehen.
      Ganz wohl war mir bei dem Gedanken nicht, aber dann entwickelte sich alles doch ganz anders.
      Was mir beim Packen angenehm aufgefallen war: Der W201 besitzt einen – gefühlt – größeren Kofferraum als der Kombi und obwohl es im Innenraum beengter zuging, empfand ich die Reise selbst als deutlich angenehmer und entspannter als im Skoda. Und selbst die anfängliche Skepsis, ob der Mercedes wohl durchhalten oder seinen Geist aufgeben würde, hatte sich rasch gelegt, ich muss gestehen, dass ich auf dieser Reise so etwas wie Zuneigung zu dem Wagen entwickelt habe.
      Das war fast wie damals, als ich nach dem Abitur mit Freundin (später Frau) im W114/200D meines Vaters auf Landstraßen bis an die Algarve und wieder zurückgefahren, bzw weniger gefahren als vielmehr auf einem Sofa sitzend, geglitten bin.



      w201 auf Winterreifen im frühsommerlichen Cornwall (6 Uhr morgens)

      Im Dezember 2023 dann der GAU. Zylinderkopfdichtung kaputt. Eine Reparatur bei Mercedes erschien mir angesichts der Kosten unangemessen, die Werkstatt „meines Vertrauens“ nach der Geschichte mit der Lambdasonde und dem Hinweis, es könne sich auch um einen defekten Ölkühler handeln, nicht mehr ganz so vertrauenswürdig.
      Also habe ich mir „Etzold“ sowie „Korp“ zurechtgelegt, mir im Forum Mut angelesen, und die Sache selbst in Angriff genommen.



      So sieht eine 32 Jahre alte Dichtung aus...

      Ich will Euch an dieser Stelle nicht weiter langweilen, aber der kranke Patient und ich haben auf diesem Wege zueinander gefunden.
      Nach der erfolgreichen Reparatur der Zylinderkopfdichtung habe ich alle übrigen Wehwehchen, über die er sich beklagt hatte, ebenfalls beseitigt.

      Neues Zündkabel von der Zündspule zum Verteilergehäuse (das alte war lediglich mit einem längst vergammelten Klebeband am Stecker befestigt und hat mich zum Wahnsinn getrieben, als er im Anschluss an die Zylinderkopfreparatur erst einmal nicht angesprungen war).
      Zündverteilergehäuse getauscht.
      Neue Zündkerzen.
      Neue Wasserpumpe (die Alte hat gequietscht)
      Diverse Schläuche erneuert.
      Hinterachsöl getauscht.
      Motorlager vorne ersetzt.
      Spannrolle Riemenspanner sowie Schwingungsdämpfer vom Riemenspanner ersetzt (das Fahrzeug hat im Standgas gerasselt und geklappert, dass ich jedes Mal in den Rückspiegel habe schauen müssen, ob ich nicht etwas verloren habe. Passanten an Ampeln bzw. Fußgängerüberwegen ist es ähnlich ergangen)
      Heizlüfter (durchdringendes Wolfsgeheul beim Aktivieren), sowie Heizungsventil (undicht) ersetzt.
      Lautsprecher und Radio getauscht, elektrische Antenne angeschlossen, neue Dämmmatte Motorhaube eingeklebt.

      Anfang 2024 stand erneut der TÜV an. Da war doch noch was? Stimmt. Entsprechend aufgebracht hat mich der TÜV Prüfer zu sich gerufen und mir ins Gewissen geredet, dass er einem Fahrzeug, bei dem sich eine der rückwärtigen Türen lediglich von innen öffnen ließe, unmöglich eine Plakette erteilen könne. Hatte ich völlig vergessen.
      Auch bei dieser Reparatur hat mir das Forum wertvolle Hilfe geleistet (Wie entferne ich die Türverkleidung, ohne dass sie Schaden nimmt?) Das eigentliche Schloss – für das es bei Mercedes keinen Ersatz mehr gibt – sah rein äußerlich wie neu aus und musste glücklicherweise nur gereinigt werden. Per Ultraschall war mir zu heikel, weswegen ich es im Waschbecken mit Geschirrspülmittel eingeweicht, und anschließend mit Druckluft getrocknet habe.
      TÜV hat er jetzt bis 2026, und die Empfehlung des Prüfers, bis zur nächsten HU 2026 die vorderen Bremsschläuche zu erneuern, werde ich mir zu Herzen nehmen.

      So, genug geredet.
      Im Grunde habe ich mich auch nur hier angemeldet, um mich bei Euch allen hier bedanken zu können, für jeden einzelnen Eurer hilfreichen Beiträge.

      Besten Dank für alles
      Michael

      P.S. Falls noch nicht bekannt. Die Dichtungsreste von Zylinderkopf, Ansaugbrücke etc. lassen sich wunderbar nerven- und materialschonend mit einem Ceranfeldschaber entfernen.
      Den Tipp habe ich von einem lieben Nachbarn, der als Ingenieur im Porsche- Entwicklungszentrum-Weissach beschäftigt ist und selbst leidenschaftlich an seinen beiden alten Fahrzeugen der Marke – natürlich – Mercedes (R129 und R107) herumschraubt.
    • :thumbsup:
      Sterniger Gruß
      JO Ein alter 190E 3.2L 24Vler

      "Du brauchst ein Fahrzeug, was zu Dir passt, mit Stil, eins mit Charakter - ein Baby zum Liebhaben. Du musst es pflegen, streicheln, tanken, auch Geld reinstecken, so'n Baby will unterhalten werden! Aber dafür bleibt's vielleicht auch bis zum Ende Deines Lebens bei Dir - Dein Eigentum!"

      PS: Wer Reechdschreipfehler bei mir entdeckt, soll sie behalten